Die Sturmflut vom 16. Februar 1962:

Am Freitag, dem 16. Februar 1962, zog ein ausgeprägtes Orkantief von Island über die Nordsee hinweg und drückte gewaltige Wassermassen in die Deutsche Bucht. An vielen Stellen entlang der Deutschen Nordseeküste brachen die Deiche oder wurden überspült. Das flache Land verwandelte sich in dieser Nacht vielerorts in eine gewaltige Seenlandschaft. Bereits am späten Nachmittag zog die Kaltfront, begleitet von Blitz und Donner über Norddeutschland hinweg und der Sturm drehte auf Nordwest. Gegen 20:30 Uhr wurde erstmals das Fernsehprogramm des NDR für eine Sturmflutwarnung unterbrochen. Kurz nach 22 Uhr wurde in Cuxhaven mit rund 3,50 Metern über dem mittleren Tidehochwasser der derzeit höchste Wasserstand gemessen (da der elektronische Pegelmesser ausgefallen war, mußte von Hand nachgemessen werden). Entlang der Deichstraße lief das Wasser jetzt in breiter Front über die Deichkrone in die Innenstadt. Auch die damalige Bahnhofstraße stand zeitweise unter Wasser. Zum Glück hielten die Deiche in Cuxhaven dem Wasserdruck aber weitgehend stand. Der Scheitelpunkt der Flutwelle wälzte sich in den folgenden Stunden weiter elbaufwärts, entlang der Deiche im Alten Land, in Richtung Hamburg. Kurz nach Mitternacht trat das Wasser dann auch in Hamburg vielerorts über die Deichkrone und ließ die Deiche brechen. Innerhalb kurzer Zeit versank der ganze Stadtteil Wilhelmsburg in den grauen Fluten. Betroffen waren hier vor allem die Menschen in den flachen Häusern der "Kleingarten-Kolonie", von denen viele im Schlaf überrascht wurden. Kaum einer rechnete damals mit der Gefahr im 100 Km von der Küste entfernten Hamburg. Insgesamt kamen 312 Menschen in den Fluten um. Vor allem dem engagierten Einsatz der Bundeswehrsoldaten, die zur Rettung anderer häufig ihr eigenes Leben aufs Spiel setzten, ist es zu verdanken, daß die Zahl der Opfer nicht noch höher lag. Nach der Februarflut wurden die Deiche allgemein um etwa einen Meter erhöht, bis die Flut am 3.2.1976 erneut eine Rekordhöhe erreichte.

 
Eine Chronologie der Ereignisse bei Cuxhaven vom 16. Februar 1962:

  • Fr., 16.02.1962, 09:00 h:  Beim Feuerschiff Elbe 3 in der Elbmündung reißt die Ankerkette im Sturm. Der Schlepper Eisfuchs und der Tonnenleger Neuwerk laufen aus, um das Schiff nach Cuxhaven zu schleppen.

  • 19:00 h: Die Wetterwarte gibt Sturmflutwarnung. Amtmann Günter Michel erhält die Meldung, dass das Wasser bereits auf 7,30m über Pegelnull (90cm höher als das MTHW ) gestiegen ist. 35 Minuten später (das Wasser ist um weitere 30cm gestiegen) lässt er Voralarm (Alarmstufe I) für den Deichschutz geben.

  • 19:55 h: Voralarm für die gesamte Bundeswehr im Standort Cuxhaven.

  • 20:00h: Das schnell ansteigende Wasser beginnt unter dem Slippen hindurch in die Deichstraße zu laufen.

  • 20:35 h: Das Wasser steht inzwischen bei 8,80m über Pegelnull. Die Einsatzleitung tritt im Polizeigebäude in der Friedrich-Carl-Straße zusammen; Alarmstufe II wird ausgelöst.

  • 20:50 h: Alarmstufe III: Deichwachen, Bundeswehr, THW, DRK, Feuerwehr beziehen Position.

  • 20:55 h: Zwei Frauen müssen mit einem Schlauchboot aus dem Gasthaus „Zur Fähre“ gerettet werden. In einer dramatischen Aktion werden am Seepavillion vier Männer, die sich an den Maschendrahtzaun klammern, per Schlauchboot geborgen.

  • 21:00 h: Die einzige Telefonverbindung zur Wetterwarte fällt aus.

  • 21:05 h: Das Schleusentor am Slippen wird gerade noch rechtzeitig geschlossen. Einige Cuxhavener schauen neugierig zu und behindern die Rettungskräfte.

  • 21:05 h: Die Sirenen heulen und warnen vor einem möglichen Deichbruch in Cuxhaven. Eine Stunde später schwappt das Wasser  in der Deichstraße über den Deich und flutet teilweise die Stadt. Mit Rammen werden die Slippentore zur Sicherheit abgestützt. Das Wasser steht nur Zentimeter unterhalb der Oberkante. Manche Einheimische packen ihre Koffer und fahren in die höher gelegenen Regionen nach Altenwalde.

  • 21:15 h: Der eletronische Pegelanzeiger in Cuxhaven hält den Fluten nicht mehr stand und liefert keine Daten mehr, u.a. auch nicht zum Deutschen Hydrografischen Institut nach Hamburg.

  • 22:13 h: mit einem provisorisch eingesetzten Lattenpegel wird der legendäre Wasserstand von rd. 10m über Pegelnull per Hand nach gemessen.

  • 22:30 h: Der Nachschub mit Sandsäcken kommt ins Stocken.

  • 22:32 h: Der Rundfunk unterbricht sein Programm für eine Warndurchsage: „Für Cuxhaven besteht Deichbruchgefahr. Die Bevölkerung wird dringend gebeten, die oberen Stockwerke aufzusuchen. Sagen Sie bitte ihren Nachbarn bescheid!“

  • 23:00 h: Bei der Kugelbake ist der Döser Seedeich angeschlagen. In Duhnen ist der Deich gebrochen; in der Dohrmannstraße stark gefährdet. Hier rutscht die Deichböschung etliche Meter ab. Vom Neufelder Deich in Groden wird gemeldet, dass das Wasser an einigen Stellen durch den Deich sickert. In breiter Front strömt das Wasser jetzt über den Deich an der Deichstraße. Von da aus verteilt sich das Wasser rasch in den Alten Weg und die Schillerstraße, zur Annen- und Blohmstraße, bis hin zum Rathaus und weiter bis zur alten Kommandantur in der Kasernenstraße. Über die Bahnhofstraße gelangt das Wasser zur Großen Hardewiek und der Segelckestraße. Dort werden die tiefer gelegenen Stellen beim früheren „Langen Jammer“ und in der Lehmkuhle teilweise bis 75cm hoch überschwemmt. Das Wasser bahnt sich seinen Weg ferner über die Neufelder Straße bis in den „Flecken“ hinein. Vor dem Industriegebiet Groden-West macht das Wasser erst in Höhe der Firma Hebold an der Grodener Chaussee halt.

  • 23:50 h: Der Wasserstand beginnt langsam zu sinken.

  • Sa., 17.02.1962, 01:00 h: Die Feuerwehr beginnt damit, die vollgelaufenen Keller im Cuxhavener Stadtgebiet auszupumpen.

  • 02:00 h: Im Einsatz sind in dieser Nacht mehr als 80 Mitarbeiter der Stadtverwaltung, rd. 100 Leute des Deich- u. Schleusenverbandes, rd. 730 Bundeswehrsoldaten, über 50 Polizeibeamte und knapp 20 Zollbeamte, rd. 90 Helfer des THW, 110 Mann der Feuerwehr und 50 DRK-Helfer sowie unzählige Freiwillige.

  • 09:00 h: Am Samstag Vormittag offenbart sich das ganze Ausmaß der nächtlichen Sturmflut: Die Wege zur Alten Liebe sind zum großen Teil zerstört, schwere Betonplatten wurden von den großen Brechern einfach fortgespült. Die Bundeswehr war in der Nacht und den ganzen Samstag noch damit beschäftigt, die Deichabschnitte provisorisch abzusichern. Zwischen Bahnhof und Schleusenpriel werden  Unmengen von Schwemmsand entfernt. Die erste vorsichtige Schadensbilanz bezifferte man am 23. Februar auf rd. 35 Millionen Mark. Als Folge der Sturmflut von 1962 wurden die Deiche um rd. 60cm auf 7,10m erhöht. Auch das Deichvorland wurde erhöht, damit sich die Wellen schon vorher brechen. Der so genannte Obdeich (der Querdeich zwischen Hafen und Deichstraße) wurde mit Stahlbetonwänden verstärkt und erhöht.